Mittwoch, 22. November 2017

Was vom Tage übrig blieb - Kazuo Ishiguro - Reflexion eines Lebens


Wie beginnt man eine Reise, wenn man nie gelernt hat zu reisen? Mit Tipps? Mit einer Reisebegleitung? Der 56-Jährige  Stevens versucht es mit einem Buch. Sein neuer Dienstherr Farraday legt ihm ans Herz endlich einmal zu verreisen. Dazu überlässt er ihm sein Auto und übernimmt die Benzinkosten. Für den Butler ist es jedoch eine Reise in seine Vergangenheit. So weit er auch kommt, schwelgt er immer wieder in Erinnerungen an früher. Wer war er? Und was machte ihn als Butler aus? Was ist überhaupt ein perfekter Butler? Zudem berichtet er immer wieder über die Zeit bei seinem alten Dienstherren Darlington, der eine große Persönlichkeit war und viel Einfluss im 2. Weltkrieg hatte.

Kazuo Ishiguro hat 2017 den Nobelpreis erhalten. Den meistdotierten und bedeutendsten Buchpreis weltweit. Mag sein, dass er mit diesem Buch nicht die größte Geschichte erzählt hat. Er hat aber unter Beweis gestellt, dass man mit einer guten Sprache und Schreibfertigkeit nicht den Stoff einer großen Geschichte benötigt, um einen Leser zu fesseln.

Die Bildhaftigkeit in der Sprache und die filigrane Beschreibung der Figuren sind so speziell angefertigt worden, dass man sich jede Figur hautnah vorstellen kann. Man gewinnt eine Nähe zu der Geschichte, weil die Sprache und Artikulation der Figuren zu einer wahrhaftigen Melodie werden. Der Ich-Erzähler ist ein Butler in jeder Faser seines Körpers. Man merkt ihm an, wie wichtig ihm seine Arbeit, und alles was sich um seine Arbeit spielt, ist. Jedes Detail, welches aus der Norm springt, interessiert ihn nicht, weil er seinen Blick nur auf das Wesentliche fokussiert. Selten hat man so eine Hingabe für einen Job in der Literatur zu lesen bekommen. Ein raffinierter Schachzug, der ideenlosen Gesellschaft von heute zu zeigen, was in der alltäglichen Arbeitswelt tatsächlich von Bedeutung ist.

Durch die Erzählung des Ich-Erzählers, der auch erwähnt, dass gewisse Dinge auch anders abgelaufen sein könnten, sie lange zurückliegen und seine Erinnerungen ihn auch täuschen könnten, gewinnt man viel Sympathie zu der starken Persönlichkeit des Erzählers. Außerdem erhält der Leser einen Blick auf eine Liebesgeschichte des Ich-Erzählers, die der Erzähler selbst nie begriffen hat. Diese Raffinesse in der Erzählung zeichnet den großen Meister Ishiguro aus.


Was auf der Strecke bleibt, ist das Reiseerlebnis. Die Figur ist so sehr von der Vergangenheit ergriffen und gefesselt, dass sie die Dinge, die sich vor ihren Augen bilden und eröffnen nur vage und peripher wahrnimmt. Hier wäre eine Beschäftigung mit der Gegenwart interessant gewesen. Jedoch lässt diese Lücke im Text keinen allzu großen Raum für eine Diskussion, dass der vorliegende Roman ein wahres Meisterstück ist.

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